Psalms 90

Kapitel 90

Thema dieses Klagepsalms und Klagegebets ist die menschliche Vergänglichkeit. Im Zentrum steht Vers 12 mit der Bitte an Gott, uns zu guter Erkenntnis angesichts unseres sicheren Todes zu führen: „Lehre uns, unsere Tage zu zählen“.
Vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 604 und 606
Der Psalm ist Mose zugeordnet und verweist sprachlich auf das Bittgebet des Mose (Exodus 32), das Lied des Mose (Deuteronomium 32) und den Segen des Mose (Deuteronomium 33) – siehe Parallelstellenangaben.
Vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 609
Der Text beginnt mit einer Gottesanrufung. Die Verse 1–2 rufen in Erinnerung, dass der ewige Gottes die Menschen stets [vor Gefahren] geschützt hat. Auf die Betonung der göttlichen Ewigkeit folgt dann in 3–10 eine Vergänglichkeitsklage und Anklage Gottes
Vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 610f.
. In klaren Worten wird beschrieben, dass Gott die Menschen sterben lässt. Die Kürze des menschlichen Lebens steht in Kontrast zur Existenz Gottes. Diese Klage mündet in Vers 11–12 in die Bitte an Gott, die Sterblichkeit akzeptieren zu können, so dass „ das Leben als Gottes Gabe angenommen und erfüllt gelebt werden kann“
Vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 612
. Nun folgt ein „Bitten um ein Eingreifen Gottes (V 11–16) mit Ausblick in eine heilvollere Zukunft (V 17)“
Vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 604
. Dieser Schlussteil des Psalms nimmt sprachliche Motive vom Anfang auf (3: Kehrt zurück [Menschen], 11: Kehre zurück [Gott]; Tag; Morgen). Zugleich bildet er inhaltlich eine Brücke zum folgenden Psalm 91 (Verheißung einer guten Zukunft) uns sprachlich zu Psalm 92 (Dank). 1
[Status: Zuverlässig]
Ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes: g Mein Herr (Herr), eine [sichere] Wohnung (Zufluchtsort) bist du für uns gewesen (bist du, warst du) von Generation (Zeitalter, Zeit, Geschlecht, Zeitspanne) zu Generation
D.h. wahrscheinlich „in allen Generationen“
. i

2Bevor [die] Berge geboren waren (wurden) und du die Erde und die [irdische] Welt
Dieses Wort hat keinen allumfassenden Sinn wie „Kosmos“, sondern ist i.d.R. mit „Erde“ Synonym – hier klar ein Hendiadyoin.
hervorgebracht (geboren)
Das Verb heißt eigentlich „sich (in Schmerzen) winden“ und steht oft in Zusammenhang mit der Geburt. Hier wird es bildhaft verwendet. Die Grenzen der deutschen Sprache machen eine genauere Übersetzung nicht möglich.
hattest
Nach der LXX und anderen Zeugen kein Polel, sondern Polal → Passiv: „Bevor … die Erde und die Welt hervorgebracht waren“ (NET Ps 90,2 Fußnote 3)
(hervorbrachtest), {und} von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott (bist du, Gott)
Die LXX liest „nicht“ ( אַל ) statt „Gott“ ( אֵל ) und hängt das als Verneinung an den Beginn des nächsten Verses, dann lediglich: „Bevor..., und von Ewigkeit... bist du.“
. n


3Du lässt [den] Menschen zum Staub zurückkehren
LXX: „Du lässt nicht zurückkehren“ (vgl. letzte Fußnote V. 5)
,
p und sprichst: „Kehrt zurück (kehrt um)
Kehrt zurück wird meistens als Wiederholung und Verstärkung der ersten Vershälfte verstanden: Keht zurück [zu Staub]! = Werdet wieder zu Staub! (vgl. Hossfeld/Zenger 2000, S. 608). Denkbar ist aber auch die Deutung: Kehrt zurück ins Leben!
, ihr Kinder des Menschen (Adams Söhne, Menschenkinder)!“

4Denn (ja) tausend Jahre [sind] in deinen Augen wie [der] gestrige Tag, wenn er vergangen ist
Eigentlich ein (zeitloses) Imperfekt. Im Kontext des gestrigen Tages als Vergangenheit übersetzt.
, oder (und) eine Wache in der Nacht (Nachtwache)
Kann sich auf die israelitische Nachtzeiteinheit „Nachtwache“ beziehen (NET Ps 90,4 Fußnote 8).
.

5Du schwemmst sie weg
Die genaue Bedeutung des Verbs ist unklar. NET: „beendest ihr Leben“
, sie sind [wie] Schlaf (Du schwemmst sie weg [wie] Schlaf), am Morgen wie Gras
Oder: „[wie] Schlaf am Morgen, wie Gras“
, [das] aufsprosst (sie sind am Morgen wie Gras, [das] aufsprosst).
V. 5 beinhaltet eines der schwierigsten textkritischen Probleme des Alten Testaments. Der Vers ist im masoretischen Text schwierig zu deuten, weil er wenig klar zugeordnete Elemente enthält. Dazu kommen verschiedene Lesarten in LXX und Peschitta, aus der die BHS den möglichen Ursprungstext „Du sähst sie aus Jahr für Jahr, sie sind am Morgen wie Gras, [das] aufsprosst.“ konstruiert (so EÜ, Zür1931). Die Gewichtung der Textzeugen und die lectio difficilior im masoretischen Text (die nicht aus dem Vorschlag erklärt werden kann) gibt diesem aber klar Vorrang.


6Am Morgen blüht (grünt) es und sprosst auf (blüht), zum Abend verwelkt
EÜ: „wird es geschnitten“
und verdorrt (vertrocknet) es.

7Denn (ja) wir vergehen durch deinen Zorn (Gesicht), und durch deine Zorneshitze (Zorn, Grimm, Hitze)
Die beiden Wörter werden ins Deutsche häufig als „Zorn“ und „Grimm“ übersetzt. Letzteres ist jedoch heutzutage nicht mehr allgemein verständlich. Im Grunde sind beide synonym. Das häufige Wort für „Zorn“ heißt ursprünglich „Nase, Gesicht“ und enthält die Konnotation des zornigen Schnaubens. Das zweite Wort heißt eigentlich Hitze und enthält also die Konnotation der Zorneshitze.
werden wir verstört.

8Du stellst (hast gestellt) unsere Fehler (Missetaten, Ungerechtigkeiten) vor dich, unsere Geheimnisse (verborgenen [Dinge]; was wir verborgen haben) vor das Licht deiner Gegenwart (deines Gesichts).

9Ja (denn), alle unsere Tage fahren dahin (verschwinden)(sind dahingefahren) durch deinen Zorn (Grimm), wir vollenden (haben vollendet) unsere Jahre wie einen Seufzer (Stöhnen).

10Die Tage unserer Jahre, in ihnen [sind] siebzig Jahre, und mit Kraft (durch [deine] Kraft [unterstützt]
So Hossfeld/Zenger 2000, S. 602. Die meisten deutschen Übersetzungen halten es hier mit Luther: „wenn es hoch kommt“
, wenn in Kraft) achtzig Jahre.
{und} Ihr Stolz
D.h. der Stolz der Jahre → die Blüte des Lebens.
[ist] Mühe und Beschwerde (Unglück, Nichtigkeit, Last), denn (ja) er ist (vergeht) schnell vergangen und wir fliegen [davon] ([dahin]).


11Wer erkennt die Stärke deines Zorns? {und} Wie die Furcht vor dir (deine Furcht) [ist] dein Grimm (Zorn) (und gemäß deiner Furcht deinen Grimm?).

12Darum (also, so) lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit (dann, und) wir ein Herz der Weisheit (weises Herz) bekommen (erlangen, gewinnen).


13Kehre doch (Wende dich doch [zu uns]) zurück, JHWH! Wie lange (bis wann)? {und} Habe Mitleid mit deinen Knechten (Sklaven, Dienern)! aa

14Sättige uns am Morgen [mit] deiner Güte (liebenden Treue, Gnade, Liebe), dann (so dass, damit; und) werden wir jubeln und uns freuen an allen unseren Tagen!

15Erfreue uns so [viele] Tage, [wie] du uns bedrückt hast (hast Leiden lassen, gebeugt hast), [so viele] Jahre, [wie]
Die parallele Satzstruktur weist darauf hin, dass aus der einen vergleichenden Präposition (vor „Tage“) weitere ergänzt werden müssen. In hebräischer Dichtung ist das nicht ungewöhnlich (vgl. V. 5).
wir Unglück (Böses, Unheil) gesehen haben!

16Zeige (lass sehen)
REB: „Lass an deinen Knechten sichtbar werden“
deinen Knechten (Sklaven, Dienern) dein Handeln und deine Herrlichkeit (Glanz, Majestät, Macht) ihren Kindern (Söhnen)! ad


17Die Freundlichkeit (Gunst) des Herrn (meines Herrn), unseres Gottes [sei] über uns! {und} Das Werk unserer Hände festige
SLT: „fördere“, EÜ: „lass gedeihen“
über uns, und (ja) das Werk unserer Hände, festige es!

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